Interview: Kulturelle Bildung an Schule leben

Eberhard, ich darf dich kurz vorstellen: Du bist als Schulleitung an einem sonderpädagogischen Förderzentrum im Allgäu tätig. Sie ist heute eine der zertifizierten Kulturschulen. Was waren die Beweggründe, am Programm Kulturschulen von 2019 bis 2022 teilzunehmen?

Die Albert-Schweitzer-Schule hat eine 30-jährige Theatertradition, mit jährlichen Aufführungen in der Schule. Die Gruppen haben aber auch an Theatertagungen teilgenommen und sind mit ihrer Theaterarbeit nach Außen gegangen. Theater war als Kernpunkt an unserer Schule etabliert und immer ein wichtiger Teil des Schullebens. Die Schüler*innen waren es also bereits gewohnt, in Theater-AGs zu arbeiten. Mit der Einführung des gebundenen Ganztags wurden weitere kulturelle Angebote entwickelt. Es kamen Schülerchor, Schülerband, die Kunst-AG, die Bewegungskünste-AG, all diese Dinge, dazu. Und da hat es sich natürlich angeboten, an diesem Programm teilzunehmen und Kulturschule zu werden. Für uns war es verlockend, uns zu professionalisieren – zu gucken, was wir innerhalb der Schule für die Schüler*innen verbessern können, und in einen Prozess einzutreten, der zielgerichtet ist und zur Schulentwicklung beiträgt. Die Zustimmung vom Kollegium, an diesem Projekt mitzuarbeiten, war ein Leichtes, weil es eben eine gewisse Tradition der kulturellen Arbeit an der Schule bereits lange gab.

Wie seid ihr auf das Programm Kulturschule Bayern, dem Programm des StMUK, aufmerksam geworden?

Das war ganz einfach, wir wurden gefragt.

Das heißt ihr wart schon bekannt als kulturaffine Schule?

Ja, da gab es über unsere Theaterlehrkraft bereits Kontakte über PAKS, über Theaterarbeitskreise, über Vereinigungen. Wir waren als Schule bei der Regierung von Schwaben bekannt, unsere Band ist am Förderschultag aufgetreten und der Chor hat irgendwo gesungen. Es waren all diese Dinge, die unsere Schule bekannt gemacht haben. Wir waren auch bereits an einem Vorläuferprojekt beteiligt, das hieß aber noch nicht Kulturschule Bayern. Von dort ausgehend war es ein organischer Übergang.

(Anm. der Redaktion: Die Albert-Schweitzer-Schule wurde 2023 mit sechs anderen bayerischen Schulen mit dem Staatspreis für Theaterarbeit ausgezeichnet.)

Wenn man den Vorher-Nachher-Effekt betrachtet: Welche Rolle spielt heute kulturelle Bildung im Schulprofil? Und wo begegnet man im schulischen Alltag der kulturellen Bildung?

Dass wir Bayerische Kulturschule sind, wird am Kulturboard in der Aula sichtbar. Hier wird alles, was im kulturellen Bereich bei uns an der Schule übers Jahr läuft, visualisiert. Besucher*innen, Schüler*innen, Mitarbeitende haben das Kulturboard immer vor Augen wenn sie die Schule betreten. Es geht vor allem darum, die Schüler*innen einzubinden. Sie sollen stärker partizipieren und an diesem Prozess teilnehmen. Wir haben versucht, Schüler*innen, die Kulturlotsen sind oder die in der SMV tätig sind, miteinander zu kombinieren. Sie gehen auf gemeinsame Tagungen außerhalb der Schule und arbeiten am Schul-Kultur-Programm mit. Hier geht es auch um die Frage, was sie in diesem Jahr umsetzen wollen. Ganz konkret wird das dann auf dem Kulturboard dargestellt. Es ist eine Übersicht, die permanent am Wachsen ist.

Verändert hat sich auch, dass wir durch dieses Projekt einen Arbeitskreis Kulturschule etabliert haben, der sich regelmäßig trifft. Das kulturelle Schulprogramm wird aus Lehrersicht für ein Jahr entwickelt und in die Förderstufen-Teams getragen. Es gibt in der Kultur-AG je Altersstufe vier Teams. Sie übernehmen die Angebote in ihr Profil und in ihr Programm für das Schuljahr. So soll gewährleistet sein, dass diese Dinge auch konkret stattfinden. Im alltäglichen Unterricht, und das ist ja das eigentliche Ziel, soll eine Veränderung stattfinden, der tägliche Unterricht wird immer wieder durch die Kulturbrille angeschaut. Hilfreich sind Lehrerfortbildungen im Bereich Film, Theater, szenisches Lernen, Musik, so können in den Unterrichtsfächern neue Zugänge geschaffen werden. Das entwickelt sich natürlich langsam. Mittlerweile ist es aber bei vielen Kollegen angekommen, dass sie damit Möglichkeiten haben, in Deutsch, in Mathe oder sonst irgendwo durch verschiedene Medien und theatrale Mittel andere Zugänge zu schaffen. Ich glaube, dass Kolleg*innen inzwischen schätzen, diese Angebote wahrnehmen zu können.

Wir waren natürlich auch in der glücklichen Lage, durch die finanziellen Mittel für Schüler*innen Kulturfahrten ins Theater, ins Musical oder zu Klassikkonzerten anbieten zu können. Damit wird Interesse geweckt. Diese Dinge haben früher in dieser Form nicht stattgefunden.

Man hört ja immer wieder, dass Lehrkräfte durch personelle Engpässe stark überlastet sind. Wie kann man sie für das Thema gewinnen? Was habt ihr als positiv erlebt, um Lehrer*innen zu motivieren?

Wir hatten und haben Kolleg*innen, die für ein Thema brennen, deren Herzblut am Theater, an Musik, an Film, an Kunst hängt. Das ist der Motor. Solche Lehrkräfte gibt es überall und ihnen muss man als Schulleitung den Raum geben. Leidenschaften, Interessen, Stärken, Kompetenzen, Hobbys, die man in ihren Unterrichtsalltag einbringen will, werden dann auch nicht als Zusatzbelastung empfunden. Von diesen Kolleg*innen geht so was wie eine Initialzündung aus.

„Es sind die Momente, in denen Schule sehr viel Spaß macht.“

Das alles wird strukturell verankert. Wir haben einen fixen Kulturtag oder eine Kulturwoche, die jährlich stattfinden soll. Wenn die Theatergruppe oder die Schülerband auftreten, dann wird es von sehr Vielen als Bereicherung empfunden und ich erfahre damit auch ein Stück Entlastung. Ein Projekt ohne großen Aufwand, das jährlich am Schuljahresende stattfindet, ist das Open Stage. Die SMV organisiert, fragt ab, welche Schüler*innen mit welchen Darbietungen auftreten möchten, egal ob es ein Gedicht, ein Lied, ein Rap oder ein Kunststück ist. Da springt der Funke bei den Schüler*innen über. Es sind die Momente, in denen Schule sehr viel Spaß macht.

Ein paar Beispiele haben wir nun schon gehört. Welche weiteren Merkmale der Kulturschulen habt ihr in euer Schulprofil verankert?

Ein Merkmal ist, dass wir eben diesen Kultur-Arbeitskreis haben. Neben der Schulentwicklungsgruppe gibt es bestimmte Projektgruppen, man mag sie vielleicht auch Qualitätszirkel nennen. Es braucht eine Gruppe von Lehrkräften in den verschiedenen Stufen, die sich jährlich darum kümmern, dass diese Dinge, zum Beispiel bei einem Personalwechsel, nicht verloren gehen. Ideen aus dem Kollegium müssen gesammelt und eingebracht werden. Es sollte eine Jahresplanung gemacht werden, die dem Schulentwicklungsplan angepasst wird, damit wir uns selbst nicht überfordern. Auch wenn das Projekt Kulturschule für uns beendet ist, wird es den Kultur-AK weiterhin geben.

Dazu gehört natürlich auch die kontinuierliche Pflege des Netzwerks, beziehungsweise auch die Suche nach neuen Netzwerk-und außerschulischen Kulturpartner*innen. Verändert hat sich auch, dass nicht nur die Schule ein Ort der Kultur, der kulturellen Bildung ist, sondern dass wir mit dem, was wir tun, auch rausgehen. Gleichzeitig holen wir Leute rein in die Schule. Weil wir keine kommunale Schule sind, wurden wir lange nicht gesehen. Das hat sich geändert, jetzt passiert mehr Öffentlichkeitsarbeit.

Eigentlich sind es selbstverständliche Dinge, aber es findet jetzt wieder mehr statt: Kooperation mit der Buchhandlung, Teilnahme am Weihnachtsmarkt, Auftritte des Schülerchors und der Theatergruppe, oder die Frage: „Die Stadt macht einen Fair Trade Markt, könnt ihr einen Beitrag leisten?“

Eberhard Vaas

ist seit 2013 Schulleiter an der Albert-Schweitzer-Schule / Sonderpädagogisches Förderzentrum in Sonthofen. Im Zeitraum von 2016 bis 2019 nahm die Schule am Projekt “kulturelle Bildung an bayerischen Förderschulen” teil, eine Kooperation des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) mit der Stiftung “Nantesbuch”. Anschließend (von 2019 bis 2022) wurde die Schule eine von 9 Schulen im Pilotprojekt des StMUK “Kulturschule in Bayern”. 2023 erhielt die Albert-Schweitzer-Schule den Staatspreis für Theaterarbeit an bayerischen Schulen.

Kulturschule Bayern

Das Programm Kulturschule Bayern des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus zeigt auf vielfältige Weise wie sich Schule öffnen und selbst zu einem Kulturort werden kann.

„Der tägliche Unterricht wird immer wieder durch die Kulturbrille angeschaut.“

Eberhard Vaas, Albert-Schweitzer-Schule Sonthofen

Die kulturellen Bildungskooperationen mit außerschulischen Partner*innen gelten als Chance für den Ganztag. Wie kann das gelingen, nicht nur als Kulturschule, sondern generell in Form einer schulischen und außerschulischen kulturellen Bildung? Wie kann man das gemeinsam denken?

Es gibt zwei Nachmittage mit jeweils zwei Schulstunden, in denen der Raum gegeben ist für die AGs: die sportlichen AGs und die musischen AGs. Die Schüler*innen müssen sich zuordnen, sowohl im sportlichen als auch im musischen Bereich, damit auch nichts zu kurz kommt. Das muss nicht übers ganze Jahr gehen, sondern kann auch punktuell stattfinden.

Die Schüler*innen sind gemischt, Jahrgangsstufe 5 bis 9. Wir bestücken diese AGs zunächst mit den Bordmitteln, das heißt, mit den Kompetenzen der Lehrkräfte. Die Verantwortung liegt bei ihnen, egal in welchem Bereich, ob Theater, Musik, Kunst, Film, können sie schauen: Wen kann ich mir noch zur Unterstützung von Außen holen? Wo ist ein gewisser Kompetenztransfer möglich und wo können wir selbst bestücken? Wer kann was anbieten? Die Lehrkräfte versuchen dann, außerschulische Partner*innen mit ins Boot zu holen. Das sind Pensionäre, die in der Fahrradwerkstatt beim Fahrradschrauben helfen. Das ist die Kletterhalle vom Alpenverein, das ist die Musikschule, die Bücherei, ein Tanzlehrer. Außerschulische Partner*innen waren so etwas wie Initiatoren. Vieles ergibt sich von selber, und kommen von außen Personen dazu, trägt es auch zur Entlastung bei. Interessanterweise gibt es in der ländlichen Region, wie hier im südlichen Oberallgäu, mehr kulturschaffende Künstler*innen, als ich gedacht habe. Das Alles muss im Ganztag strukturell, also zeitlich und räumlich verankert sein.

Welche Impulse bringen die Personen mit, die im Schulkontext so nicht vorgesehen sind?

Also ein Impuls war tatsächlich das Tanzen, das wurde wiederbelebt. Die Buchhändlerin vor Ort macht uns immer wieder auf Projekte aufmerksam. Wir würden auch gerne mit einer Journalistin Podcasts erstellen. Und da gibt es auch noch einen Trommelworkshop. Zusätzlich gibt es für interessierte Lehrkräfte hier eine kleine Fortbildung.

Welche drei Maßnahmen würden Sie Schulleiter*innen empfehlen, die an einer Schule arbeiten, an der kulturelle Bildung noch gar keine Rolle spielt? Wie kann man sich vorsichtig in Richtung kulturelle Schulentwicklung bewegen?

Die erste Maßnahme ist, denke ich, dass sich die Schulleitung auf die Suche macht: Welche Kompetenzen haben die einzelnen Lehrkräfte? Und dann die Frage: Möchtest du etwas anbieten? Wir geben dafür Zeit und Raum. Und dann sollte sich über einen gewissen Zeitraum eine Kerngruppe bilden. Auf jeden Fall sollten es drei, vier Personen sein, auf keinen Fall Einzelkämpfer*innen.

„In der jetzigen Zeit ist es wichtiger denn je, unsere Kultur des Zusammenlebens täglich zu leben.“

Eberhard Vaas, Albert-Schweitzer-Schule Sonthofen

Kulturelle Bildungskooperationen im Ganztag

Mit Blick auf den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung ab 2026 ist das Thema Kulturelle Bildungskooperationen im Ganztag wichtiger denn je. Weitere Informationen hier.

Kulturelle Bildung und Schulentwicklung

Der Bayerische Lehrplan Plus definiert Kulturelle Bildung in sämtlichen Schulformen als übergreifendes Ziel. Ein kulturelles Schulprofil kann Kinder- und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihrem Bildungserfolg stärken. Weitere Informationen zum Thema “Kulturelle Bildung und Schulentwicklung” hier.

Ein zweiter Schritt ist, Lehrkräften ins Bewusstsein zu bringen, dass wir den Auftrag der kulturellen Teilhabe haben. In der jetzigen Zeit ist es wichtiger denn je, unsere Kultur des Zusammenlebens täglich zu leben. Die Schule ist das Übungsfeld, in dem Schüler*innen lernen, die eigenen Kompetenzen zu entdecken und zu stärken. Dann müssen sie ins Boot geholt werden: Was gefällt euch gut? Welche Angebote hättet ihr gerne? Wie kann sich, wie sollte sich Schule verändern? Was macht euch Spaß? Was würdet ihr gerne verwirklichen? Damit haben wir bei Lehrer*innen sowie bei den Schüler*innen eine motivierte Gruppe, die etwas angehen möchte. Und dem muss ich dann natürlich den nötigen Raum geben.

Idealerweise wird es dann strukturell verankert, damit es nicht eine Eintagsfliege bleibt. Das Kollegium beschließt: Wir verschreiben uns stärker der kulturellen Bildung, mit mindestens einem Projekttag, mit verschiedenen Workshops. Hier kann sich jeder beziehungsweise könnten sich alle einbringen. Bei Schulveranstaltungen gibt es immer eine Gelegenheit für die Theatergruppe oder die Filmgruppe, für Schüler*innen mit ihren Fähigkeiten, mit ihren Stärken, mit ihrer Kreativität. Es kann was ganz Kleines sein.

Schöner Gedanke. Abschließend noch die Frage: Was braucht Schule mit Blick auf den Rechtsanspruch auf Ganztag, damit sie kulturelle Bildung stärker einbinden kann?

Konkret von meiner Schule ausgehend: Wenn ich gute, qualitativ anspruchsvolle kulturelle Angebote machen will, brauche ich Räumlichkeiten, die kontinuierlich genutzt werden können. Ich brauche Platz für die Requisiten, für die Ausstattung im Theaterbereich. Wir haben Scheinwerfer finanziert bekommen. Nun muss der Sachaufwandsträger noch im Boot sein, damit die Scheinwerfer an die Decke kommen.

Es wird halt immer enger und wir stoßen natürlich überall an unsere Grenzen. Hier muss investiert werden, die Dinge kosten natürlich Geld. Ich brauche im Ganztag ein gewisses verlässliches Budget, über das ich verfügen kann, um einfache Materialien zu kaufen, die dann zusätzlich zur Verfügung stehen. Ich kann nicht alles von den Eltern verlangen. Wir brauchen Ausstattung im Kunstbereich, im Werkbereich, im Theaterbereich, im musikalischen Bereich. Wir haben zum Glück einen Förderverein, der sehr aktiv ist. Hier die Kontakte zu pflegen, ob es Banken, Unternehmen, Stiftungen sind, darin ist der Förderverein sehr hilfreich. Wir konnten Vieles natürlich auch über das Projekt Kulturschule finanzieren. Auch dieses Netzwerk ist gerade für Kultur, Schule, für kulturelle Bildung unerlässlich.

Ich fasse zusammen: Es geht also um die Zuverlässigkeit der öffentlichen Finanzierung, um kreative Möglichkeiten, sich weitere Mittel zu beschaffen, und darum, wie sich kulturelles Potenzial in und außerhalb der Schule nutzen lässt. Ich danke ganz herzlich.

Das Interview führte Anna Reitberger (30.11.2023)

Kommunen für Kulturelle Bildung

Landesweit haben sich in mehreren Städten Koordinierungsstellen für Kulturelle Bildung entwickelt. Sie unterstützen Kooperationsvielfalt und zeigen Förderstrategien auf. Weitere Informationen hier.

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Förderungen

Finanzierungsmöglichkeiten für Kulturelle Bildungskooperationen

Einen Überblick über die zahlreichen Finanzierungsmöglichkeiten von kulturellen Bildungsangeboten zu behalten ist manchmal gar nicht so leicht. Wir haben für Sie Förderprogramme, Stiftungen und Wettbewerbe recherchiert, die sich für Bildungskooperationen mit Schulen eignen können. Weitere Informationen hier.